Samstag, 24. Januar 2009
 
Langweilig, antiquiert, peinlich - Internetwahlkampf 2008 PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Hans G. Zeger   
Montag, 15. September 2008

Retro beherrscht auch den Onlinewahlkampf . Innovative Ideen sind keine erkennbar. Die Web2.0-Angebote der Parteien werden weitgehend ignoriert. Aber User-Tracking ist auch hier im Vormarsch.

Retro beherrscht den Wahlkampf

Die Geschichte wiederholt sich, einmal als Tragödie, einmal als Farce. An dieses Marxwort (verkürzt) ist man unwillkürlich beim Nationalratswahlkampf 2008 erinnert. Die Wahlauseinandersetzung 1999 feiert schleppende Wiederauferstehung, die alten Akteure von 1999 werden aus den Hüten gezaubert. Bloß Klima konnte nicht aus seiner argentinischen Gruft gelockt werden, doch hat er mit Faymann einen kongenialen Ersatz gefunden.

Dass der (Wahl-)Dritte diesmal (Regierungs-)Erster wird, ist nicht denkbar, dass der jetztige (Parlaments-)Vierte diesmal (Wahl-)Erster wird, wird nur durch die Zerrissenheit des eigenen Lagers verhindert.

Die ARGE DATEN hat sich die Internetauftritte der Parteien, diverser Parlamentarier, bekannter Politiker, der Medien, privater Initiativen und einiger Behörden angesehen. Unter www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=WAHL2008 findet sich eine - zwangsläufig - unvollständige Liste der Internetauftritte rund um die Wahl.

Die Suche nach dem passenden Wahl-Internetangebot

Weniger eine inhaltliche Bewertung der Botschaften war von Interesse, als die Frage, werden überhaupt die Eigenheiten und Chancen des Internets genützt und wahrgenommen?

Welchen Innovations- und Spaßfaktor haben die Webseiten? Wie sieht es mit Web2.0-Komponenten, dem Mitmachweb aus? Kommen die zentralen Botschaften überhaupt rüber? Sind die Seiten halbwegs professionell gemacht? Und dabei sind weniger möglichst viele bunte, blinkende Bilder, komplizierte Flash- und Videosequenzen und "originelle" Benutzerführungen gemeint, sondern wie schnell und einfach lassen sich die zentralen Informationen finden.

Retro auch im Onlineauftritt

Ja, Blogs finden sich jede Menge, 1999 noch als Gästebuch und Onlineforum bezeichnet, suggerieren sie lebendige Diskussion und Teilnahme. Liest man die Einträge, fühlt man sich rasch auf einem anderen Stern. Die Parteien wiederholen ihre Wahlkampfwerbung, von den Internetbenutzern kommt selten ein inhaltliches Statement, meist Aggression, Vernaderung und Beleidigung anderer Standpunkte. Einige professionelle Seilschaften von Parteisoldaten - so der Eindruck - besetzen unter x verschiedenen Pseudonymen (Nickname) die Blogs um gegenseitig die Inhalte des Gegners zu verdrehen.

Und ob die Blogbeiträge der Politiker, wie Haider, Fekter, Silhavy, .... tatsächlich aus deren Federn stammen oder bloß Fakes der Wahlkampfbüros darstellen, muss jeder Leser, angesichts der eigentümlichen Formulierungen, selbst entscheiden.

Eine Tageszeitung richtete jeder Partei einen Blog ein. Nach drei Wochen hat das BZÖ ganze zweimal etwas zu sagen, gleichauf mit FPÖ, LIF und KPÖ, drei mal die SPÖ, die ÖVP immerhin sieben mal, die Grünen melden sich fast jeden Tag einmal.

Andere Web2.0 Elemente sind rar, etwa Networking. Vergebens sucht man eine Darstellung des Beziehungsgeflechts von Faymann, Molterer, Strache und Co, ob da etwas zu verbergen ist? Die "innovativsten" Videos beschränken sich auf das Muster "Bürger fragen, Politiker antworten", sieht man von den unsäglichen Werbespots und Pressekonferenzen ab.

Bei den Grünen YouTube-Videos ist man bei 700 Views und einem Kommentar schon in der Gruppe der "most viewed, most discussed", eher peinlich. Bloß einer von 12.000 Österreichern hat das Spitzenvideo gesehen. Das ist weniger als bei Dinkhauser (1.200 mal angesehen). Molterer bringt es auf etwa 1.600 Views (1:5000) und maximal 2 Kommentare bei einem Video. Faymann kommt auf bis zu 2.800 Views (1:2900), aber unkommentiert. Strache ist mit 24.000 (1:333) Views und 300 Kommentaren Spitze. Von Reichweiten von 9 Millionen (1:35) und mehr, wie bei Barack Obama, können alle nur träumen. Ob's nicht auch an der Qualität der Videos liegt?

Die Grünen setzen am konsequentesten auf Web2.0-Dienste. Neben YouTube sind sie auf Facebook, MySpace, Flickr, Twitter und delicious vertreten. 184 Facebook-Fans und 330 MySpace-Freunde werden aber nicht zu einem Mandat reichen. Immer noch mehr als Molterer, der gerade 127 Twitter-Fans hat. Bei der ÖVP bedeutet "mitmachen", Parteimitglied zu werden, auch eine Web2.0-Interpretation. Neben den Grünen setzt das LIF voll auf das Internet. Youtube, MySpace, StudiVZ, Netlog, Facebook und Flickr sind seine Plattformen. 13 Myspace-Freunde und 3 netlogger werden wohl auch nicht für ein Mandat reichen.

Ja, ein paar Chats sind noch angekündigt, das war aber schon 1999 ein alter Hut. Und die SPÖ setzt noch immer auf die unsäglichen Spam-Cards, vulgo eCards, zu verschicken per eMail.

Der Spaßfaktor fehlt völlig, Onlinespiele sucht man vergebens. Hier ist die Strache-Präsenz geradezu ein Highlight. Wahlweise findet man ihn als Supermann oder Ché (www.hcstrache.at), beides übrigens Ausländer. Auch der HC-Rap ist wohl nicht das was Eingeborene als bodenständige Musik verstehen. Eine gute Eigenkarikatur, wenn man nicht wüsste, dass er seine Sprüche ernst meint. Einen kleinen Unterhaltungswert hat auch die Website von Karlheinz Klement, der sich unter anderem mit Mädchenbusen und männlicher Genitalverstümmelung beschäftigt (www.khklement.at).

Mit Onlineformular registrieren lassen kann man sich bei den Parteien auch, Werbung als Newsletter und RSS-Feed gibt's dazu.

Geradezu unglaublich peinlich sind die persönlichen Homepages der Politiker. Offenbar verstehen die meisten das Internet bloß als billiges Fotoalbum. Zwischen Bierzelt, Hofreitschule und Erntedankfest finden sich die immergleichen Bilder. Ein Retroerlebnis der besonderen Art findet sich auf www.oevp.at/platter, hier feiert die ÖVP noch immer ihren Innenminister Platter.

In diesem trostlosen Umfeld geradezu erleuchtend mutet der Aufruf zur Gebetsaktion durch DIE CHRISTEN an (www.diechristen.at/).

Interaktionsmöglichkeiten bleiben ungenutzt

Dass das Internet ein interaktives, für die individuelle Kommunikation geeignetes Medium ist, dürfte sich auch 2008 bei den Parteistrategen nicht herumgesprochen haben.

Vergebens sucht man Simulationen und interaktive Modelle, die es erlauben die Auswirkungen politischer Aussagen auf die persönliche Lebenssituation "nachzurechnen" oder nachzuplanen. Was bedeuten 5% Pflegegelderhöhung für den betroffenen Bürger? Wieviel mehr Betreuungsleistungen kann er sich dafür kaufen? Wieviel wirkt sich die Mehrwertsteuerhalbierung bei Lebensmitteln tatsächlich beim Warenkorb der Statistik Austria, im persönlichen Monatsbudget aus? Sind es 6.80 Euro oder doch 15.20? Was bedeuten die verschiedenen Steuerreformvorschläge für mein eigenes Geldbörsel? Welche Leistungen können durch die erhöhten Mineralölsteuereinnahmen finanziert werden, welche Leistungen verdrängen andere, wenn mehr für Bundesheer, Straßenbau oder Kindergarten ausgegeben wird?

Komplexe Fragen, die ideal in einem interaktiven Onlinemedium dargestellt werden könnten. Wohl um den oft lächerlich geringen Effekt manch bombastisch verkündeter Maßnahmen nicht offen legen zu müssen, wird aber auf die Darstellung verzichtet.

Geradezu innovativ, aber nicht wahlspezifisch, ist das Angebot der Wiener Grünen, interaktiv die Fahrradfreundlichkeit der Stadt darzustellen (wien.gruene.at/radfalle). Wo sind die Nachahmer?

Abstimmungen, Prognosen und Wahlhilfekalkulator

Ein paar Abstimmungs- und Prognosetools dekorieren noch die Landschaft. Bei den (un)sinnigsten Wahlfragen kann man per Mausklick "mitstimmen" (www.wahlbarometer.at/, ...). Wer mobilisiert besser, wer kann seinen Standpunkt durch möglichst viele Stimmen durchsetzen? Das technische Wissen, wie diese eVoting-Plattformen auszutricksen sind, bestimmt das Ergebnis, nicht der Bürgerwille.

Witzig, aber auch nicht neu, ist das Wahlbörsespiel (www.wahlfieber.at/). Statt zu lügen, wen man wählen wird, gibt man bekannt, welcher Wahlausgang einem wieviel wert ist. "Geld regiert die Welt" haben sich die Betreiber gedacht, nur auf den wahrscheinlichen Ausgang wird man tatsächlich Geld setzen.

Und dann gibt es noch die altbekannten Wahlhilfekalkulatoren (wahlkabine.at/, www.politikkabine.at/). Ausgehend von den Parteiaussagen zu ausgewählten Themen wird die größte Nähe zu einer Partei errechnet. Nett, aber angesichts der üblicherweise mehrheitlich gebrochenen Wahlversprechen auch keine Entscheidungshilfe.

Verstärkt private Initiativen

Einen kleinen Lichtblick stellt die wachsende Zahl privater Wahlinitiativen dar. Sie erlauben persönliche Einblicke und sind immer bessere Indikatoren für die politische Großwetterlage (www.kritikus.at/, www.meinparlament.at/, www.wahltotal.at/, http://neuwal.com/, www.politikblogs.at/).

Was die tagesaktuelle Information angeht, haben auch im Onlinebereich die professionellen Medienhersteller (Tageszeitungen, Rundfunk) nach wie vor die Nase vorn.

Wer aber wenig Zeit hat und doch alles zur Wahl wissen will, geht auf Wikipedia, dem Onlinelexikon (http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalratswahl_in_%C3%96sterre...). Parteien, Umfragen, Ziele sind knapp, sachlich und übersichtlich zusammen gestellt.

User-Tracking und Onlinewerbung im Vormarsch

Als User-Tracking ist das beharrliche Aufspüren von Benutzerinteressen im Internet zu verstehen. Politische Überzeugungen, politische Meinungen fallen als sensible Informationen unter den besonderen Schutz der Privatsphäre. Eigentlich sollten alle Parteien sicherstellen, dass von den Benutzern ihrer Seiten keinerlei Informationen an Fremde weiter gegeben werden. Dies umfasst selbstverständlich Identifikationsdaten, wie Name, Adresse, Geburtsdatum. Im Internet gehen die Identifikationsmöglichkeiten jedoch weiter. Sogenannte bestimmbare Personendaten, wie IP-Adresse, Cookies, Referer-Adressen, Nicknames, individualisierte Links reichen ebenfalls aus, um Benutzer mittels komplexer mathematischer Verfahren zu identifizieren.

Hier sind einige Parteien blauäugig bis fahrlässig unterwegs. Die Einbindung fremder Onlinedienste, die Nutzung fremder Plattformen (YouTube, ...) und der massive Onlinewerbeeinsatz einiger Parteien macht aus dem Internetbenutzer rasch den gläsernen Wähler.

Anzahl und Häufigkeit mit der Parteiseiten angeklickt werden, lassen Rückschlüsse auf politische Präferenzen zu. Verknüpft mit kommerziellen Daten, wie online gekaufte Produkte, angesehene Bilder und besuchte Webseiten lassen sich mittelfristig genaue Personenprofile erzeugen. Personenprofile die manche Überraschung liefern könnten. Vielleicht stellt sich dann heraus, dass Schwule mehr zur FPÖ, statt zum LIF tendieren, der traditionelle Pornokonsument ÖVP-Sympatisant ist und doch mehr Grüne als bisher gedacht schnelle Autos fahren. Und der Paintball-Absatz in SPÖ-Kreisen höher als erwartet ist.

Wahlenthaltung2.0

Nimmt man die Beachtung der Parteiinternetauftritte als Basis für Wahlprognosen, wären die Grünen haushohe Gewinner, leider nur bei einer Wahlbeteiligung unter einem Prozent. Die Mehrheit der Internetbenutzer ignorieren die Parteimitmachangebote schlicht und einfach.

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